Ich kann kaum beschreiben, welche Glücksgefühle ich am heutigen Tag hatte, da wir in diesen Ort und dieses Haus gezogen sind. Ich spürte zunächst diese Vorfreude, basierend auf den Bildern, die ich bereits im Internet gesehen hatte, die jedoch auch eine trügerische hätte sein können. Aber in dem Moment, als wir die SS131 verlassen hatten und durch ein Schilfgebiet fuhren, das keinen Hinweis darauf gab, dass irgend eine Ortschaft existieren könnte, wir dieses verließen, um den Hinweisschildern zu folgen, war ich bereits mutig gestimmt und wusste ganz tief im Innern, dass das Unbekannte sowohl vertraut als auch verheißungsvoll sein würde. Wir bogen die erste Einmündung rechts ab Richtung Centro, und ein nicht enden wollender Autocorso einer Hochzeitsgesellschaft begegnete uns freudig, stand Spalier, um allein unsere Ankunft zu begrüßen, so schien es mir. Der Corso war so immens lang, dass er uns durch die kurvige Straße, vorbei am Stadtfriedhof und von hohen Mauern eingesäumten Orangenhainen den Weg bis ins Innerste der Ortschaft wies. Dort eröffnete sich uns eine Piazza mit Palmen, ein dominantes herrschaftliches, rotes Haus – einem Rathaus ebenbürtig – die große Dorfkirche in unserem Rücken und von überall abzweigende, gepflasterte, enge Gässchen. Eine unscheinbare Bar, in der nur wenige Männer um diese Uhrzeit das erste oder auch zweite Bier nahmen, und nur noch um eine Ecke in der Via Roma machten wir Halt vor dem butterblumengelben Haus, dessen Fassade noch im Schatten lag und seinen Glanz daher nicht vollends entfalten konnte. Dennoch strahlte es bereits jetzt eine geheimnisvolle Anziehungskraft auf mich aus und meine Zehen kribbelten vor Vorfreude, es endlich betreten zu dürfen. Es war Mittagszeit, brütend heiße Luft empfing uns als wir das Auto verließen, die ich genoss wie andere ein kühles Bad. Es mochten wohl so um die 38 Grad in der engen Gasse herrschen, dazu wehte ein schwaches, heißes Lüftchen, das meine Haut wohlig umschmeichelte. Trockene Luft, die gleichermaßen nach Asphalt und Getreide duftete. Ich schloss kurz die Augen, nahm einen tiefen Atemzug und wartete bewusst lange, wollte jeden Winkel dieser Luft schmecken, verinnerlichen, liebkosen, bis ich sie wieder ganz langsam und ruhig aus den Nasenflügeln entließ und dabei ein Feuerwerk aus Assoziationen der Aromen in meinen Gedanken explodierte – nun war ich bereit für den nächsten Schritt.

Die schwere Eichenholztür schwang gut geölt auf und erfrischende Kühle empfing mein Gesicht, während die Glut der Straße noch auf meinem Rücken brannte. Meine Augen gewöhnten sich schnell an die schwachen Lichtverhältnisse und nahmen einen großen Innenraum wahr, der überwiegend weiß gekalkte Wände und viel Holz, das sowohl baulichen als auch dekorativen Zwecken diente, beherbergte. Eine große Truhe stand neben einer Chaiselongue und einer schwarzen Ledercouch auf der rechten Seite und auf dem zugehörigen Couchtisch lag das „Un giorno a el Bulli“, und das allein schien mir schon wie Magie – hier war ich nicht nur willkommen, nein, hier mussten Kräfte am Werk gewesen sein, die von meinen Leidenschaften wussten, sonst hätte der Empfang nicht so perfekt abgestimmt sein können. Hier würde ich mich nicht einfach nur wohlfühlen, hier materialisierten sich intimste Wünsche und Träume und würden mir das Gefühl einer Realität geben, in der ich dies alles geschaffen hatte und die ich mein Eigen nennen konnte. Der offene Kamin neben der Couch wirkte zu dieser Jahreszeit unscheinbar, wo hingegen das reichlich gefüllte Bücherregal an der gegenüberliegenden Wand eine bedeutsame Größe aufwies. Dahinter führte eine breite, mit flachen Stufen versehene Holztreppe ohne Geländer in die erste Etage. Aus dem offenen Treppenhaus fiel schwaches Licht des oberen Stockwerks in die Mitte des Raumes, dahinter verengte ein breiter Rundbogen das sonst großzügige Raumangebot; er verbarg eine rustikale Küche, die aufgrund der rückwärtigen Fenster nur schemenhaft durch das Gegenlicht zu erspähen war. Der Geruch des Hauses war ungewöhnlich neutral, beschränkte sich darauf, der Harmonie des Hauses zu dienen, perfekt abgestimmt, wies er weder Moder oder den intensiven Geruch alter Möbel noch chemischer Untertöne durch Renovierungsarbeiten oder Raumverbesserungssprays auf. Alles hatte seinen dezenten Eigengeruch, nichts wirkte aufdringlich, wie in einem gut eingespielten Orchester.

Ich zog meine Flipflops aus, stellte sie behutsam zur Seite, um den Einklang der Einrichtung nur geringstmöglich zu stören und bewegte mich ganz langsam mit festem Kontakt zum Steinboden durch den großen Raum, saugte durch meine Füße die Atmosphäre des Hauses in mich auf, ging eine Verbindung mit ihm ein, begrüßte es und versuchte mir vorzustellen, wie es gewesen war, als noch ätherische Flüssigkeiten, bunte Pulver, seltsame Pflanzen in Hunderten von kleinen Fläschchen und allerlei Gerätschaften aus Messing und Silber dicht gedrängt, aber wohl sortiert auf dunklen Regalen gestanden hatten und eine wesentlich kleinere Treppe nach oben geführt und eine geschlossene Luke, die den Lichteinfall nach unten verhinderte, dem Besitzer des Hauses mit seiner Familie ein wohliges Zuhause in dem oberen Stockwerk beherbergt hatte.

Vor dem breiten, nicht allzu hohen Rundbogen, der den Durchgang zur Küche markierte, machte ich halt und spähte nach oben, doch trotz der offenen Bauweise gab das Haus sein Geheimnis nicht preis, wollte erobert werden, sodass ich nicht die kleinste Ahnung hatte, welche Schönheit mich weiter oben noch empfangen würde. Knapp unter dem Giebel in Süd-östlicher Richtung warf ein kleines Fenster schwaches Licht in den Raum. Erneut kribbelten meine Zehen und ich wusste, dass, wenn ich geduldig sein würde, ich nicht enden wollende Freude bei meiner kleinen Expedition zu erwarten hatte.

Das Licht des hinteren Fensters und der Verandatür blendete mich nun nicht mehr so stark, meine Augen hatten sich an die konträren Lichtverhältnisse gewöhnt und so inspizierte ich langsamen Schritts die Küche, eine gelungene Kombination aus altem Charme und Moderne – die gebürstete Stahlfassade reflektierte das einfallende Licht und warf verspielt Lichtfiguren auf den Boden. Gut ausgestattet war sie, mit vielen Töpfen und Kochgeschirr, das auf Wandregalen und mit Haken befestigt sein zu Hause fand. Eine Zitronenpresse stand dominant auf dem Marmor und zwei weiße große Spülsteine thronten direkt neben einem professionellen Gasherd mit fünf Feuerstellen, auf dem es mir eine Freude sein würde, die Speisen zuzubereiten. Ein riesiges Nudelholz hing von der Decke so lang, dass selbst der große Esstisch in der Mitte der Küche ihm nicht genügend Auflagefläche bieten könnte. Dahinter stand ein altes Buffet aus der vorletzten Jahrhundertwende, massiv aber ohne jegliche Schnörkel bot es seinen Bewohnern einen sicheren Schutz vor Staub und Zerbrechen. Der große Kühlschrank direkt daneben summte sein eisiges Lied leise vor sich hin, während ich die Verandatür zu einer, wie es mir schien, anderen Welt öffnete.

Minimalistisch komfortabel, ohne überladen zu wirken, möchte ich diesen Hinterhof beschreiben, ein Kleinod, das von hohen Mauern begrenzt, schützend jegliche Einblicke neugieriger Nachbarn zu unterbinden vermochte. Drei, vielleicht auch vier Meter tief und doppelt so breit, beherbergte er allen Luxus, der für das mediterrane Leben ausreichend sein würde: eine Hängematte, eine Feuerstelle mit Grill, ein kleiner runder Bistrotisch mit vier Stühlen, drei Wäscheleinen von der Rückwand an die unverputzte Mauer des gegenüberliegenden Hauses vertäut, vor der ein Beet mit allerlei Kräutern, Rosen und eines mir nicht bekannten Rankgewächses bepflanzt war, das schon zweidrittel des rohen Mauersteins eingenommen hatte und dessen saftiges Grün für eine erfrischende Gemütlichkeit sorgte. Ein Ensemble aus stilisierten Stierköpfen aus verrostetem Blech stand rechts neben dem Beet auf einem Gestell, das lose in dem weißen Schotterboden verankert war und brachte eine eher spanische Anmutung in das Gesamtbild.

An der gekalkten Wand zur Rechten hatte das für mich wahre Highlight des Hofes seinen Platz: eine Außendusche, die mehrere Duschköpfe aufwies und damit so gar nicht in das idyllische Bild des restlichen Hofes zu passen vermochte, eine moderne, wenn auch eigenwillige Kreation, bei dem mehrere Armaturen jeweils mit eigenem Ventil so hintereinander montiert worden war, dass man mit der richtigen Kombination dieser die einzelnen Brauseköpfe bedienen konnte. Da der Hof in diesem Bereich mit großen Terrakottafliesen  belegt war, die sich in der warmen Luft angenehm aufheizten, würde man auch spät am Abend angenehm die köstliche Erfrischung genießen können.

Die Tür zur Linken bot meiner Neugier Einhalt, denn nicht nur, dass sie verschlossen war, sie war auch trotz ihres hohen Alters und des Verwitterungsgrades so dicht, dass mir nicht der kleinste Blick in den Nachbarhof gewährt wurde (vielleicht auch besser, da ich vermutete, dass Häuser für Nicht-Reisende eher zweckdienliche Hinterhöfe aufwiesen, in denen Abfälle und Unrat aufbewahrt wurden, obwohl keinerlei Gerüche darauf hindeuteten.). Ein Geräusch ließ meinen Blick nach oben wandern, wo ein großes weißes Segeltuch in Höhe des Daches flatterte, sanft bewegt vom Wind, der hier immer wehte und die Hitze erträglich machte. Über den gesamten Innenhof gespannt, bot es Schutz vor der sengenden Sonne, gleichermaßen würde es auch einem starken Regen oder Gewitter standhalten, der sich jedoch in den Sommerschlaf zurückgezogen hatte und sicherlich erst in einigen Monaten heimkehren würde. Das Fenster im ersten Stock wurde geöffnet und freudig winkte mir E. zu. Es war leicht zu erkennen, dass es ihr ähnlich erging wie mir, die Freude funkelte in Ihren Augen und sie hatte bereits aufgesaugt, was mir noch bevorstand, die Erkundung des oberen Stockwerkes.

Bedächtig schritt ich die leicht raue, gleichwohl angenehm griffige Treppe hinauf, die nach der Hälfte der Stufen einen rechtwinkligen Knick nach rechts machte und geradewegs in Richtung des Hauptbades führte, das von einer skurrilen, dunklen Tür bewacht wurde, die bizarrste Muster von Holzwurmgängen aufwies, die jedoch nicht mehr aktiv waren und der drohende Zerfall damit gestoppt war. Die Tür zur Rechten, wohlgemerkt die einzige richtige Tür neben der Badezimmertür, führt in ein sehr geräumiges, aber karg ausgestattetes Schlafzimmer mit einem großen Bett, einem Schreibtisch und einem dunklen, dreitürigen Kleiderschrank mit verspiegelten Türen. Das kleine Fenster an der Rückwand des Hauses war jenes durch das mir E. eben noch zugewinkt hatte. Ich ließ mich für einen Moment mit dem Rücken auf das Bett fallen und starrte nach oben auf die Dachkonstruktion, die mir immens weit entfernt vorkam und dem Raum über mir eine kathedrale Größe verlieh. Ganz aus Holz ruhten dünne Latten,  oberhalb derer die Ziegel befestigt waren, auf dicken Querbalken, die die gesamte Konstruktion hielten und einen wohlig beschützenden Charakter aufwiesen. Diese Bauweise erinnerte mich an die Konstruktion der Scheunen und Heuschober, die ich als Kind bei meinen Großeltern kennengelernt hatte, und mir war unverständlich, wieso man in so einem heißen Land die Dächer der Wohnhäuser nicht derart konstruiert hatte, dass sie den extremen Temperaturen besseren Einhalt geboten. Aber die rationalen Gedanken verflüchtigten sich schnell von ganz alleine und nach diesem kleinen Ausflug erhob ich mich wieder und verließ das Zimmer geradeaus in den größten Raum des ganzen Hauses, der sich über die gesamte Breite erstreckte und von den zwei Fenstern zur Straße hin sowie dem Dachgiebel- und den Dachfenstern lichtdurchflutet beinahe erleuchtet wirkte. Die Einrichtung bestand im Wesentlichen aus vier Elementen: Zunächst an der rechten Wand, der Wand zum Nachbarhaus, eine ausgeklappte und frisch mit weißen Bezügen bedeckte Schlafcouch, dahinter an der Mauer zur Straße ein gelackter Ahornschreibtisch, auf dem ein silberner Röhrenfernseher völlig deplatziert wirkte und an der linken Wand, zum rosafarbenen Haus des Barbiers, lehnte eine gigantische Vitrine mit Werken und Gegenständen des Hausbesitzers, die keinen Zweifel darüber ließen, dass dieser den Beruf des Architekten entweder gelernt haben musste oder ihn eine unbändige Leidenschaft zu diesem hingezogen fühlte. Davon zeugte auch der letzte Einrichtungsgegenstand des Raumes ein Wassily  Model No. B3, jene geniale Konstruktion aus verchromten Stahlrohr gefertigt mit orange-bräunlichen Lederflächen (ich vermutete ein Plagiat aus den 60ern, was keinesfalls störend wirkte), der stattlich vor dem linken Fenster stand, das nur mit dünnen Vorhängen versehen die Hitze abwies, aber dem Licht Einlass gewährte. Ich blickte hinunter auf die enge Gasse und freute mich schon auf die mediterranen Abendstunden, denn wie ich zurecht vermuten würde, sollte das Leben dort erst in Gang kommen: alte Frauen, die sich vor ihren Haustüren den Tratsch der Woche erzählten oder auch die tragischen Geschichten der entfernten Verwandten vortrugen, deren Schicksal einerseits bedauernswert, aber auch aufgrund des gottlosen Lebensstils vorhersehbar war, wie auch lärmende Jugendliche, die unentwegt mit ihren Mopeds lautstark durch den Ort fuhren.

Die letzte Entdeckung führte mich über eine drei Meter steile Hühnerleiter zu einem Schlafplatz direkt unter dem Dach, der vor allem den Kindern ein großartiges Vergnügen zum Spielen bereiten würde. Zu meinem Leidwesen war ich die Leiter hinauf gestürmt, ohne mir Gedanken zum Abstieg zu machen: Mit zittrigen Knien musste ich meinen Abstieg in das Arbeitszimmer beginnen, wenn ich nicht den Rest der Zeit unter dem Dach verbringen wollte, wobei ich trotz meiner Höhenangst immer wieder zur Kamera griff und Fotos von dem großartigen Raum machte, der aus dieser Perspektive nochmals gigantischer wirkte.

Den Rest des Tages hatte ich unglaublich gute Laune, war von einem unbekannten Glück ergriffen, grinste und strahlte vor mich hin und fühlte mich wie ein Lottogewinner, der den ganz großen Hauptgewinn gemacht hatte. Es gab kaum ein Detail, dass mich nicht immer wieder in blanke Entzückungen versetzte. Die zitronenförmige Seife im WC des Erdgeschosses, die an einer Wandhalterung fest montiert war, oder die kleine Vorratskammer, in der neben Unmengen an Nudeln, Risottoreis und gigantischen Tomatendosen auch Hunderte kleiner Marmeladengläschen, von denen eins mit sicherlich köstlich schmeckender Orangenmarmelade auf den Küchentisch und ein Großteil weiteren Küchengeräts stand. Wie ein Kind, das nach einem Urlaub all seine Spielsachen neu entdeckt, stöberte ich in den Regalen, nahm mal im Wassily Platz, legte mich auf die Chaiselongue, probierte alle Einstellungen der Außen- wie auch der Badezimmerdusche und presste vor allem jede Menge Zitronen- und Orangensaft.

Hin und wieder ertappte ich mich sogar dabei, wie ich leise vor mich hin tänzelte oder kurze Verse der Freude von mir gab, Glück pur in jeglicher Hinsicht.